Die römische Besiedlung im Schatten des Zirbitzkogels – neue Forschungsergebnisse (©Helmut Vrabec/ISBE)
Idyllische Gegend mit großem Forschungspotential
Das Leben im Neumarkter Hochtal könnte man heute als relativ beschaulich bezeichnen. Nach der Gemeindestrukturreform umschließt die Gemeinde Neumarkt in der Steiermark das gesamte Gebiet zwischen der Grenze zu Kärnten nach dem sogenannten Einödgraben im Süden und der Einmündung in das Murtal im Norden bei Teufenbach sowie den etwas nördlich von Neumarkt abzweigenden Perchauer Sattel, der etwas weiter im Osten eine alternative Streckenverbindung nach Scheifling im Murtal bietet.
Etwas weniger als 5000 Menschen leben in diesem Hochtal, das im Osten durch die Seetaler Alpen mit dem 2396 Meter hohen Zirbitzkogel als imposante höchste Erhebung und im Westen durch etwas weniger schroffe Höhenzüge zum Gebiet von St. Lambrecht hin umrahmt wird. Die Talbereiche selbst sind mit ihren gelegentlichen sanften Erhebungen sehr siedlungsfreundlich und begünstigen die Landwirtschaft. Im Talrandbereich steigt das Gelände zumeist nur gemächlich zu den Gebirgszügen hin an. Von der malerischen Landschaft profitiert der Tourismus und die Gasthöfe sind nicht nur von Wintersportbegeisterten in den kalten Monaten sondern auch im Sommer durch landluftbegeisterte Großstädter gut belegt.
Es bleibt relativ ruhig im Raum von Neumarkt, abgesehen von den Autokolonnen der Pendler und Durchreisenden, die sich täglich durch das Ortsgebiet schieben und seit Jahren die Diskussion um eine Umfahrung außerhalb des Gemeindegebiets befeuern. Hier wird die verkehrsgeographische Bedeutung des Gebietes als Schnittstelle zwischen Kärnten und dem Murtal deutlich – und das nicht erst seit der jüngeren Geschichte.
In der römischen Kaiserzeit war das Neumarkter Hochtal Teil der heute als „Norische Hauptstraße“ bezeichneten wichtigen Straßenführung über den Ostalpenraum. Die römische Trassenführung ist heute durch das spätantike Kartenwerk der Tabula Peutingeriana und das Straßenverzeichnis des Itinerarium Antonini in großen Zügen nachvollziehbar, nur die Lokalisierung der in beiden Quellen verzeichneten Straßenstationen stellt die Wissenschaft noch vor einige Rätsel. Sicher ist aber, dass bei der Anlegung der römischen Straße auf Wegführungen zurückgegriffen wurde, die zumindest bereits in der Hallstatt- und Latènezeit genutzt worden waren. Auch hier wird die besondere Bedeutung Neumarkts deutlich.
Das Neumarkter Gebiet bildete bereits vor der Zeitenwende den nördlichen Teil des wichtigen Erzabbaugebietes im Alpenraum, das sich nach Süden hin über das Görtschitztal bis in den Raum von Hüttenberg und Knappenberg fortsetzte, wo vor allem das Höhenheiligtum auf dem Hüttenberger Erzberg noch von der Bedeutung des Bergbaus in der Gegend zeugt.
Terra Incognita der Römerzeit
Trotz der besonderen Rolle des geographischen Gebietes wusste man lange Zeit relativ wenig über die römische Besiedlung im Neumarkter Hochtal. Neben einigen Berichten von über das gesamte Areal verstreute römische Einzelfunde waren es vor allem die in großer Zahl in die Kirchen der Gegend verbauten Römersteine, die ein relativ dichtes römerzeitliches Siedlungsnetz andeuteten. Dennoch wurden in der mehr als 200-jährigen Forschungsgeschichte erst zweimal im Neumarkter Raum eindeutig römische Strukturen bei archäologischen Grabungen aufgedeckt: 1931 legte der damalige Landesarchäologe Walter Schmid ein Gebäude mit einem Teil einer römischen Straße bei Wildbad südlich von Neumarkt frei. Im selben Jahr führte er außerdem eine Nachgrabung auf den Linder Feldern bei St. Marein durch und bestätigte dort eine römische Grabanlage, die eventuell bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt worden war. Römische Siedlungen selbst wurden aber in keinem Fall gefunden. Das sollte sich erst vor wenigen Jahren ändern.
Ein neues Forschungsprojekt nimmt Form an
Aufgrund vorteilhafter Bedingungen durch einen besonders trockenen Sommer waren 2013 auf Orthofotos des Landes Steiermark im Neumarkter Hochtal an zahlreichen Stellen Bewuchsmerkmale unterirdischer Strukturen zu erkennen. Ein guter Teil davon wies deutlich auf Gebäude der römischen Kaiserzeit hin, was in den Folgejahren Anlass zu einem gesteigerten Interesse der provinzialrömischen Forschung in den Bezirken Murtal und Murau bot. 2021 wurde schließlich vom Verein ISBE unter Förderung des Bundesdenkmalamtes ein mehrjährig geplantes Forschungsprojekt „Die Römerzeit im oberen Murtal und seinen Nebentälern“ ins Leben gerufen, in dessen Rahmen der Großteil der entstandenen Fundverdachtsflächen systematisch mittels geophysikalischer Prospektionen, Surveys und auch punktueller Feststellungsgrabungen untersucht und aufgearbeitet werden sollen.
In einer ersten Phase wurden sieben signifikante Fundverdachtsflächen im Raum des Neumarkter Hochtals in Kooperation mit der Archäologischer Dienst GesmbH mittels Bodenmagnetikmessungen untersucht, durchgeführt unter der Leitung von Mag. Dr. Volker Lindinger.
Hierbei konnten an allen Stellen die auf den Luftbildern sichtbaren Gebäudereste mit Erfolg verifiziert werden. So wurden im Anschluss die beiden vielversprechendsten Strukturen für weitere archäologische Untersuchungen ausgewählt – die eine in Oberdorf/Vockenberg und die andere in Hoferdorf/Mariahof. Auf beiden Grundstücken wurden im Zeitraum vor der im September 2021 geplanten Grabung umfassende Prospektionen mit dem Metalldetektor durchgeführt, um erste Datierungsansätze und etwaige Aktivitätszonen bestimmen zu können. Bei allen Unternehmungen stellte dabei der Historische Arbeitskreis Neumarkter Hochtal einen wichtigen Kooperationspartner dar, da dessen Mitglieder das Projekt sowohl in der Kommunikation mit den sehr interessierten Grundbesitzern als auch durch Mitarbeit vor Ort tatkräftig unterstützten.
Die römische Siedlung Oberdorf/Vockenberg
Die erste zweiwöchige Grabung wurde in Oberdorf bei Vockenberg durchgeführt, einer kleinen Siedlung auf den leichten Anhöhen westlich von Mariahof. Hier schienen auf einer im Gelände deutlich sichtbaren Siedlungsterrasse mit Ausmaßen von etwa 2,7 Hektar sowohl auf den Luftbildern als auch auf dem Messbild der Geomagnetik deutliche Spuren von Gebäuden auf.
Demnach scheint es sich um eine größere Siedlung zu handeln, die durch eine Wegtrasse in zwei Bereiche geteilt wird. Südlich der Wegführung gruppieren sich drei Gebäude mit Seitenlängen von bis zu 15 Metern, die allem Anschein nach an dieser orientiert waren. Nördlich des Weges befindet sich der aus mehreren Gebäuden bestehende größere Teil der Siedlung, die zum Teil aufgrund großflächiger Anomalien im Messbild schwerer fassbar waren. So wurden im Zuge der Grabung vier kleinere Grabungsschnitte geöffnet, um die signifikantesten Strukturen untersuchen zu können. Die Maßnahme wurde hierbei in der ersten Woche von Studenten der Lehrgrabung der Karl-Franzens-Universität Graz unterstützt, die parallel unter der Leitung von Dr. Marko Mele/Universalmuseum Joanneum eine Feststellungsgrabung bei dem nahen Hof vulgo Anawandter im Bereich einer prähistorischen Siedlung durchführten. In der zweiten Woche war der Fortschritt der Arbeiten durch zahlreiche freiwillige Helfer des Arbeitskreises Neumarkter Hochtal garantiert, wobei auch das große Interesse und die freundliche Unterstützung der Mitglieder der Grundbesitzerfamilie Peinhaupt zum Erfolg des Projektes beitrug.
Der erste Schnitt im Bereich eines Gebäudes südlich der Wegtrasse erbrachte Teile dessen nördlicher Außenmauer sowie die Ecke einer weiteren Mauer im Innenbereich. Von beiden Mauerzügen waren aufgrund der langjährigen landwirtschaftlichen Nutzung des Areals nur mehr die Fundamente erhalten, deren Bindemittel bereits völlig ausgewittert war. Einige wenige Funde verweisen jedoch eindeutig in die römische Kaiserzeit.
Ein weiterer Grabungsschnitt im Bereich der großflächigen Anomalien nordwestlich der Wegführung machte die topographischen Gegebenheiten noch deutlicher. Die Außenmauern der dort aufgrund der Luftbilder erwarteten Gebäudeecke und auch eine angestellte Innenmauer waren noch gut als Trockenfundament erhalten geblieben. Die Mauern waren hier in den sterilen Boden eingetieft, der hier am höchsten Punkt des Siedlungsplateaus bereits 30 cm unter der Humusdecke festgestellt wurde. Dieser bestand aus zum Teil stark Eisenoxid-hältigem Schotter und dürfte auch die Erklärung für die großflächigen Anomalien in diesem Gebiet liefern.
Ein dritter Schnitt im Bereich einer vermuteten Einfassungsmauer und ein letzter schmälerer Schnitt im Bereich der Wegtrasse brachten Versturzlagen von weiteren Gebäudemauern und neben einigen Fragmenten römischer Keramik auch eine Silbermünze des Septimius Severus zutage. In Verbindung mit zwei weiteren Fundmünzen aus dem Abhub des ersten Grabungsschnittes darf in Verbindung mit dem übrigen Fundmaterial eine Besiedlungsdauer mindestens ab dem 2. Jahrhundert bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus angenommen werden.
Die römische Siedlung Hoferdorf/Mariahof
In den letzten beiden Septemberwochen wurde der südliche Randbereich der zweiten römischen Siedlung in Hoferdorf westlich unterhalb der Kirche von Mariahof untersucht. Der Hauptteil der wahrscheinlich als villa rustica zu interpretierenden Anlage erstreckt sich im Talbodenbereich östlich der heutigen Bundesstraße über eine Fläche von etwa 0,6 Hektar.
Auch hier ist im heutigen Gelände eine leicht erhöhte Siedlungsterrasse zu erkennen, die im südlichen Randbereich stärker abzufallen beginnt. Die deutlich erkennbaren Gebäudereste verteilen sich hier auf einer langrechteckigen Fläche, deren Schmalseite grob am heutigen Straßenverlauf orientiert ist und die zudem von einer Mauer umschlossen wird. Die beiden größten Gebäudestrukturen befinden sich hierbei im nordöstlichen Bereich der Anlage: Zum Einen ein Gebäude mit deutlichen Resten einer Innenunterteilung in mehrere Räume und zum Anderen der mit Seitenlängen von 34×35 Metern größte – und vermutlich repräsentative Bau im Nordosteck der Anlage. Im südlichen Teil des Komplexes scheinen Überreste von zumindest drei weiteren Gebäuden mit kleineren Proportionen auf. Für die Grabungen wurde ein etwa 9×10 Meter messender Bau mit Innenunterteilung in zwei unterschiedlich große Räume sowie das Areal östlich des größten Gebäudes ausgewählt.
Die vorläufige Konzentration auf den östlichsten Rand des Siedlungsgebietes ergab sich aus den Grundstücksgrenzen der Familie Plank, die uns freundlicherweise die Grabungen ermöglichte und auch reges Interesse an deren Ergebnissen zeigte. Als wertvolle Unterstützung betätigten sich hierbei freiwillige Mitarbeiter, die in Kooperation mit dem Verein Erlebnis Archäologie die Grabungen gemeinsam mit den archäologischen Fachkräften durchführten.
Auf der gesamten Fläche des Grabungsschnittes wenige Meter außerhalb südöstlich des repräsentativen Gebäudes wurde eine Steinversturzlage freigelegt. Bei dieser dürfte es sich um verstürzte Mauerreste des repräsentativen Baus handeln, die hier in den Randbereich der Siedlungsterrasse verlagert wurden. Weitaus ergiebiger war der zweite Grabungsschnitt im Bereich der nördlichen Ecke des in zwei Räume unterteilten Gebäudes im südöstlichen Siedlungsbereich. Hier wurde schnell die deutlich bessere Erhaltung der Baustrukturen im Vergleich zu den Befunden aus Oberdorf deutlich. Sowohl das Fundamentmauerwerk als auch ein Teil des aufgehenden Mauerwerks waren erhalten geblieben. An einigen Stellen waren noch Reste des Mörtels aufzufinden, der in der etwa 1,6 km entfernten Siedlung Oberdorf bereits vollständig ausgewittert war. Die freigelegte nördliche Ecke der Außenmauer und eine später angebaute Innenmauer bestätigten hierbei die bereits auf den Luftbildern erkennbare Struktur. Innerhalb des südlichen, größeren Raumes zeugten zahlreiche Fragmente römischer Gebrauchskeramik sowie einige Bruchstücke reliefverzierter Terra Sigillata von der Siedlungstätigkeit.
Besonders wichtig für die zeitliche Einordnung der Anlage waren die zahlreichen Detektorfunde, die im Rahmen des Surveys über mehrere Monate hinweg aufgelesen wurden. Einige Fundmünzen sowie eine vollständig erhaltene Kniefibel (Typ Jobst 13b) liefern wertvolle Angaben zur ungefähren Siedlungsdauer bis in das 4. Jh. n. Chr., während eine besonders frühe Silbermünze Marc Antons den Beginn der Siedlung bereits im 1. Jh. n. Chr. andeutet. Eine besondere Überraschung stellten einige wenige Scherben sowie ein Scherbenwirtel aus Graphitton dar, die bereits eine vorrömische Besiedlung in der späten Latènezeit annehmen lassen.
Dies wäre aufgrund der vermuteten vorrömischen Nutzung der Wegführung durch das Murtal und über den Neumarkter Sattel auch durchaus nachvollziehbar. Die Anlage der vermuteten villa rustica von Mariahof sowie auch drei kleinere Mauergevierte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die wohl die zur Ansiedlung gehörigen Grabbezirke darstellen, sind deutlich am Verlauf der modernen Bundesstraße ausgerichtet. Dies lässt vermuten, dass Überreste der römischen Straßentrasse wohl spätestens beim Bau der modernen Straße zerstört oder überlagert worden sein könnten.
Die in der kurzen Zeitspanne untersuchten römischen Ansiedlungen im Gebiet des Neumarkter Hochtals lieferten bereits erste, zum Teil überraschende Ergebnisse und erweitern das bis dahin eher lückenhafte Bild der römischen Besiedlung im oberen Murtal deutlich. Die geophysikalischen Messungen bestätigten die Existenz von zumindest fünf, bis dahin unbekannter römischer Siedlungen. Durch die Grabungen konnten schließlich zwei davon in Mariahof und Vockenberg zweifelsfrei nachgewiesen werden. Diese stellen somit die ersten wissenschaftlich untersuchten römischen Siedlungen im gesamten geographischen Raum des Neumarkter Hochtals dar.
Literatur:
Helmut Vrabec, Geophysikalische Prospektion im Neumarkter Hochtal – Ein Vorbericht, Forum Archaeologiae – Zeitschrift für klassische Archäologie 99/VI/2021