Der „Schatz“ im Wald
Das römerzeitliche Heiligtum auf dem Hüttenberger Erzberg
Ausgedehnte Wälder, Vogelgezwitscher, Ruhe und viel Natur findet man auf den spärlich besiedelten Höhen oberhalb des Ortes Lölling/Kärnten. Ab und zu öffnet sich der Wald und man lässt den Blick über die Bergwiesen in die Ferne schweifen wo sich etwa die schneebedeckten Gipfel der Karawanken rosa angehaucht im Morgenlicht präsentieren.
Der Ort Lölling ist heute Teil der Gemeinde Hüttenberg und war einst lebendiges Zentrum der lokalen Eisenverarbeitung. Am Löllinger Bach entstanden ab dem frühen 16. Jahrhundert Hochöfen und andere eisenverarbeitende Anlagen. Dort wurde das auf dem sogenannten Hüttenberger Erzberg abgebaute Material verhüttet. Anfang des 19. Jahrhunderts war die Blütezeit der Löllinger Eisenverarbeitung, doch bereits 1899 wurde der letzte Hochofen stillgelegt.
Die mächtigen Ruinen der historischen Hochöfen und anderer eisenerzverarbeitender Anlagen erheben sich unmittelbar neben der Passstraße, die von Bad St. Leonhard über das 1.644 Meter hoch gelegene Klippitztörl in Richtung St. Veit führt. Das weithin für seine hervorragende Küche bekannte Landgasthaus Neugebauer in Lölling empfiehlt sich wärmstens, um sich nach der kurvenreichen Strecke zu stärken.
Ein Spaziergang mit Überraschungsfund
Eines Tages im Frühling 2019 spazierte der in Lölling ansässige Herr H. Winterling durch den Wald. Eingedenk des Ratschlages seines Großvaters blickte er aufmerksam unter die Wurzelstöcke der umgestürzten Bäume. Vor langer Zeit erzählte dieser dem neugierig lauschenden Kind nämlich, dass man an solch wundersamen Orten einen Schatz finden könnte. Das Glück war ihm diesmal hold. Er entdeckte eine Steinplatte, einen sogenannten Titulus (Weiheinschrift) aus Marmor, mit deutlich erkennbaren Schriftzeichen.
CIRVANC
ETARMIB
CIVLIVSDIGN
VS
Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich bei dieser Steinplatte um eine Weihung des Caius Iulius Dignus für Cirvanc und Armib. Möglicherweise sind die beiden Letzteren einheimische Gottheiten, deren Namen bis dato unbekannt sind. Eventuell stehen sie in Zusammenhang mit dem lokalen Eisenerzabbau und wurden von den römerzeitlichen Bergleuten verehrt.
In der Nähe der Fundstelle befindet sich der Eingang eines heute aus Gründen der Sicherheit mit mächtigen Steinblöcken verschlossenen Stollens, der bei Ortsansässigen als Römerstollen bekannt ist.
Vor etwa 50 Jahren entdeckte ein Mineraliensammler in der Nähe dieses Stollens mehrere Pickel aus Eisen, die aufgrund ihrer Form und Machart in die Römerzeit zu datieren sind. Bei einem Besuch der Ausgrabung zeigte er das einst von einem Bergmann benutzte Werkzeug dem Ausgrabungsteam.
Wie kommt ein Römerstein in diese einsame Gegend? Welche geheimnisvolle Geschichte verbirgt sich hier unter der Erde?
Die Fundstelle liegt auf einer kleinen Kuppe, von der aus man beispielsweise einen wunderbaren Ausblick auf die Saualm genießen kann.
Der Weg dorthin führt mitten durch den Wald und ist nur Ortskundigen bekannt. Zahlreiche Bergbauspuren wie verbrochene Stollen künden von einer Zeit, in der die nun einsame Gegend von reger Betriebsamkeit erfüllt gewesen ist.
Doch nun zurück zur Fundgeschichte …
Herr H. Winterling meldete den sensationellen Fund an das Bundesdenkmalamt (BDA). Daraufhin fand gemeinsam mit Mag. Dr. A. Steinegger (BDA) ein Lokalaugenschein statt, die 2019 eine erste archäologische Untersuchung der Fundstelle veranlasste.
Diese wurde im Spätherbst desselben Jahres von einem Team des Institutes für südostalpine Bronze- und Eisenzeitforschung ISBE durchgeführt.
In winterlichem Schneetreiben wurde die Fläche rund um die Marmorinschrift freigelegt. Unmittelbar neben dieser lag ein kleiner Weihealtar aus Marmor.
Die schwere Inschriftplatte und der Weihealtar wurden geborgen und mit Hilfe der Mitarbeiter der Tilly Forstbetriebe GmbH abtransportiert.
Abgesehen von den beiden Römersteinen konnte eine Ecke eines gemauerten Gebäudes und eine Steinversturzlage in diesem ersten kleinen Sondageschnitt festgestellt werden.
Die vielversprechenden Befunde ließen eine erste Interpretation der Fundstelle als bisher völlig unbekanntes römerzeitliches Heiligtum zu, das wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem lokalen Eisenerzabbau stand. Daher wurde eine eingehendere archäologische Untersuchung für das Jahr 2020 beschlossen. Die Fundstelle selbst wurde abgedeckt und für den Winter gesichert.
Die Ausgrabungskampagne des Jahres 2020
Mit Zustimmung des Grundbesitzers Herrn ÖR KommR Hans Tilly konnte im September 2020 mit einer mehrwöchigen Ausgrabungskampagne begonnen werden. Zunächst musste die im Vorjahr gesicherte Fundstelle freigelegt werden.
Das Team von ISBE unter der Leitung von Mag. Dr. Georg Tiefengraber befreite bald eine große Fläche vom Bewuchs, um die darunter liegenden Strukturen sichtbar zu machen. Die Umrisse des Heiligtums, jetzt nicht mehr nur Hypothese, traten bald klar zutage.
In einigen Bereichen stießen die Archäologen auf mächtige Schlackenansammlungen, außerdem auf Luppen, Ofenwandungsteile und Ofendüsen, die als Reste von Schmelz- bzw. Verhüttungsprozessen gedeutet werden können. Aufgrund von Funden (früh)mittelalterlicher Keramik können diese, die Befunde des römerzeitlichen Heiligtums störenden Strukturen, Eisenschmelzprozessen des 9. – 11. Jahrhunderts zugeordnet werden.
Die von der Herbstsonne erwärmten Steine lockten auch tierische Besucher an, die sich allerdings im Gegensatz zu den interessierten Ortsansässigen nur peripher für die Archäologie begeistern konnten.
Die aufmerksame Kontrolle der unzähligen Steine förderte weitere Reste von Weihealtären aus Marmor zutage.
Die abseits von asphaltierten Straßen und menschlichen Behausungen gelegene Fundstelle begeisterten das ISBE-Team nicht nur aufgrund der sensationellen Ergebnisse der Ausgrabung, sondern auch durch viele Natureindrücke, die sich im herbstlichen Wald darboten.
Das ca. 12 x 8 Meter große Heiligtum (griech. Temenos) wurde von einer Umfassungsmauer begrenzt. Im Inneren befanden sich die gemauerten und mit Verputz geglätteten Reste von zwei neben- bzw. nacheinander errichteten kleinen „Gebäuden“, sogenannten Ädikulen. Diese sind wohl als kleine, architektonisch gestaltete „Tempelchen“ anzusprechen, in deren Inneren sich Kultbilder der dort verehrten Gottheiten befanden.
Das Richtung Osten abfallende Gelände wurde durch eine massive Mauer gestützt, die entlang der Terrassenkante angelegt worden war. Zwischen dieser und den beiden Ädikulen verlief ein etwa 1,5 Meter breiter Umgang, der ein Umschreiten der beiden kleinen Gebäude ermöglichte.
In den letzten Grabungstagen im Oktober 2020 entdeckte das ISBE-Team zwei keltische Kleinsilbermünzen und Strukturen, die einen Vorgängerbau aus Holz vermuten ließen. Aufgrund der großartigen Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen und der Aussicht auf einen weiteren spannenden Aspekt in der Geschichte des Heiligtums, wurde für das Frühjahr 2021 eine Fortsetzung der Ausgrabungen beschlossen.
Um die bereits freigelegten Mauern vor den winterlichen Temperaturen und etwaigen Beschädigungen zu schützen, mussten diese wiederum frostsicher verpackt werden.
Die Ausgrabungskampagne des Jahres 2021
An einem sonnigen und frühlingsfrischen Tag im Mai traf das ISBE-Team erneut an der Ausgrabungsstätte ein. Die Reste des Heiligtums ruhten noch unter ihrer Winterdecke und harrten auf die Freilegung.
Auch die Natur erwachte in der Bergeshöhe erst aus dem Winterschlaf und die Sonne lockte Frühjahrsboten wie Schlüsselblumen und Farne hervor.
Bald jedoch war die Ausgrabungsfläche des Vorjahres wieder freigelegt und um einige Schnitte erweitert, die vor allem der eingehenderen Untersuchung der Umfassungsmauer dienten.
Ähnlich wie in den vorangegangenen Grabungskampagnen enthielt das Fundmaterial wiederum zahlreiche Münzen.
Neben weiteren römerzeitlichen Münzen traten nun zahlreiche keltische Kleinsilbermünzen zutage. Diese geben ein lebhaftes Zeugnis vom Bestand eines Heiligtums bereits in der Zeit des römischen Kaisers Augustus um die Zeitenwende oder sogar schon in spätkeltischer Zeit im 1. Jahrhundert v. Chr. Den frühen Münzfunden sind auch die Reste eines mehrphasigen aus Holz errichteten Heiligtums zuzuordnen.
Neben den Münzen wurden den Göttern jedoch auch andere Gaben geopfert: Die Bergleute brachten beispielsweise besonders schöne Kristalle von ihrer Arbeit unter Tage mit. Aber auch Opfergaben von Frauen, wie etwa Gürtelbeschläge sind im Fundkonvolut des kleinen Heiligtums nachweisbar.
Die Ausgrabungsarbeit legt Schicht für Schicht die Reste einstiger menschlicher Aktivitäten frei. Mit jeder Schaufel entfernter Erde zerstört man aber gleichzeitig die über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen und naturgemäß auch sämtliche in diesen Schichten verborgenen Daten.
Daher ist für jeden einzelnen Schritt eine sorgfältige und genaue Dokumentation erforderlich, um im Anschluss an die Grabung die erforschten Daten auswerten und publizieren zu können. Neben der peniblen Ausgrabungsarbeit, der scharfen Beobachtung der Bodenverfärbungen und -strukturen, muss jeder Befund mittels GPS und/oder Tachymeter eingemessen, beschrieben, fotografiert und skizziert werden.
Zusätzlich wird eine Erstbeurteilung der entdeckten Funde vorgenommen um ein Bild von der zeitlichen Einordnung der Befunde sowie deren Zuordnung zu ihrer einstigen Funktion erstellen zu können.
Während der vierwöchigen Ausgrabungszeit vollzog sich in Natur und Vegetation ein Wandel vom Frühling zum Frühsommer. Wo zunächst erst das Gras zu sprießen begann, erfreuten nun bunte Blumenwiesen und Schmetterlinge die zur Ausgrabungsstelle wandernden Archäologen und Archäologinnen.
Zu den Aufgaben des Grabungsleiters Mag. Dr. Georg Tiefengraber zählt vor allem die Beurteilung und Interpretation der Befunde und Funde. Während des Arbeitsprozesses erschließen sich immer wieder neue Zusammenhänge und die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte eines Fundplatzes tritt immer deutlicher vor Augen. Manche Fragen sind jedoch aufgrund von im Laufe der Zeit erfolgten menschlichen Veränderungen und Zerstörungen nur schwer oder gar nicht zu beantworten.
So zeigte sich etwa, dass die ostseitige, mächtige Terrassenstützmauer in späterer Zeit verstärkt werden musste, da sie dem Hangdruck nicht mehr standhielt. Die den heiligen Bezirk begrenzende Umfassungsmauer konnte über große Strecken ergraben und dokumentiert werden. Doch manche Partien bleiben naturgemäß unter den Wurzeln der Bäume oder unter dem Materialaushub verborgen. So konnte bisher beispielsweise kein eindeutig fassbarer Eingang festgestellt werden.
Aufgrund des großen Interesses des Grundbesitzers Herrn ÖR KommR Hans Tilly an dem in dieser Gebirgslage ziemlich einzigartigen antiken Denkmal entstand die Idee, dieses für die Zukunft erlebbar zu konservieren und zu erhalten. Daher wurden die römerzeitlichen Reste am Ende der Grabungskampagne erneut gesichert. Derzeit wird an einem Konzept für einen über dem Heiligtum zu errichtenden Schutzbau gearbeitet.
Nach einem langen letzten Tag wurde die gesamte Grabungsausstattung vom erschöpften ISBE-Team im Auto verstaut. Eine erfolgreiche Kampagne ist abgeschlossen. Der Frühsommer grüßt zum Abschied mit zartblaulila gefärbter Waldrebe und Wildrosen.
© Susanne Tiefengraber/ISBE